Die Geschichte des Judo

Die Geschichte des Judos begann in Japan in einer Epoche grosser politischer und wirtschaftlicher Veränderungen. Nachdem sich Japan während fast 300 Jahren weitgehend von Ausland abgeschottet hatte, drängten vor allem Russland, England und die USA im 19. Jahrhundert immer stärker auf einen Zugang zu den japanischen Märkten. Das Einlenken des regierenden Shoguns führte zu Auseinandersetzungen im Innern und schliesslich zum Zusammenbruch des Shogunats der Tokugawa. Die Regierungsgewalt ging an Tenno Mutsuhito über (Tenno, jap. 天皇, Himmlischer Herrscher). Nachdem er an die Macht gekommen war, führte er umfangreiche Reformen durch.

Das Ju-Jitsu der Samurai

Mit der Reform der Armee nach westlichem Vorbild wurde der Status der Samurai abgeschafft. Ab 1876 war das Tragen der traditionellen Tracht mit den zwei Schwertern in der Öffentlichkeit verboten. Doch viele Samuraikämpfer hielten an ihrer Tradition und ihrem Kampftraining fest. In der Folge sind viele Ju-Jitsu Schulen (jap. 柔術, sanfte Kunst, Kämpfen ohne Waffen) mit unterschiedlichen Stilen entstanden, welche oft in einem erbitterten Konkurrenzkampf zueinander standen. Neben den echten Meistern traten auch Scharlatane auf, welche das Ju-Jitsu in Verruf brachten.

Jigoro Kano – der Begründer des Judo

Für das Ju-Jitsu begeistere sich auch Jigoro Kano. Er wurde 1860 in Mikage in der Nähe von Kobe geboren. Nach dem Tod seiner Mutter zog die Familie 1871 nach Tokyo. Dort besuchte er verschiedene Schulen, an denen er mehrere Fremdsprachen lernte. Später studierte er an der Universität Tokyo. Während dem Studium begann er mit dem Ju-Jitsu-Training. Einer seinen frühen Lehrer, Meister Fukuda Hachinosuke, liess seine Schüler vor allem im Randori üben (jap. 乱取り, freies Training oder wörtlich: das Chaos nehmen). Um sich zu verbessern, suchte Jigoro Kano auch in Büchern nach Techniken, die er im Randori anwenden konnte. Er lernte anfangs vorwiegend Atemi-waza (Schlag- und Tritttechniken) und Katame-waza (Haltetechniken), ehe er später bei Meister Ikubo Tsunetoshi Nage-waza (Wurftechniken) erlernte.

Nach Abschluss seines Universitätsstudiums blieb Jigoro Kano bei den Kampfkünsten. Er suchte ein Prinzip, welches sowohl bei Wurf- als auch bei Schlagtechniken Gültigkeit hatte. Als grundlegendes Prinzip für die Auswahl und Anwendung von Kampftechniken sah er schliesslich den möglichst wirksamen Gebrauch von körperlicher und geistiger Energie. Er verwarf die Techniken, welche diesem Prinzip nicht entsprachen und ersetzte sie durch andere. Die Gesamtheit dieser Techniken nannte er Judo (sanfter Weg). Stösse, Schläge, Tritte und viele Hebeltechniken wurden gestrichen oder in die Kata (Trainingsform mit genau festgelegtem Ablauf) integriert. Die verbleibenden Techniken ermöglichen einen sportlichen Zweikampf, ohne dass ernsthafte Verletzungen zu befürchten sind.

Erfolg und weltweite Verbreitung

1882 eröffnete Jigoro Kano sein erstes eigenes Dojo, das Kodokan (Halle zum Studium des Weges). Wegen der steigenden Popularität und dem zunehmendem Platzbedarf musste das Kodokan mehrmals umziehen. Das Kodokan-Judo wurde von rivalisierenden Schulen aber auch angegriffen. Jigoro Kano wurde als Bücherwurm bezeichnet und seiner Schule vorgeworfen, keine praktischen Fähigkeiten zu vermitteln. In einem Wettkampf gegen die Jiu-Jitsu-Schule «Ryoi-Shinto Ryu», die das Kodokan-Judo besonders heftig angegriffen hatte, konnten die Schüler von Jigoro Kano aber überlegen gewinnen. Dieser Sieg förderte die Verbreitung des Kodokan-Judo als Methode für Training und Wettkampf.

1909 wurde Jigoro Kano Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Im Komitee für Tokio als Austragungsort setzte er sich für die ersten Olympischen Spiele auf dem asiatischen Kontinent ein. 1938 starb Jigoro Kano auf der Rückreise von Europa an Bord eines japanischen Schiffes an einer Lungenentzündung. Olympische Sommerspiele fanden in Tokio erst 1964 statt. Zum ersten Mal wurde im Judo um olympische Medaillen gekämpft. Seit 1972 ist Judo fester Bestandteil des olympischen Programms.